22.07.2012
Eine „Soziale Einrichtung 2.0“ ist eine Lernende Organisation, die ihren gesellschaftlichen Auftrag Partizipation durch lernförderliche Handlungsmuster und den Einsatz von digitalen Medien erreicht. Eine Lernende Organisation ist eine Organisation mit der Fähigkeit, Wissen zu entwickeln, zu erwerben und zu (ver-) teilen sowie ihr Verhalten auf Basis neuen Wissens und neuer Einsichten zu verändern.
Die Einführung des Begriffs „Soziale Einrichtung 2.0“ erscheint mir notwendig.
Soziale Einrichtungen funktionieren anders, als profitmaximierende Unternehmen. Die Soziale Arbeit kommt einem gesellschaftlichen Auftrag nach. Einrichtungen, die einem gesellschaftlichen Auftrag nachkommen, nennt man auch Institutionen. Der Begriff Institution unterscheidet sich von den Begriffen Unternehmen oder Behörde (als juristische Einheiten), vom Begriff Betrieb (als technisch-örtliche Einheit) und von den Begriffen Einrichtung bzw. Organisation (als rational-teleologische Einheit): er ist abstrakt und immateriell. Am Beispiel der Jugendhilfe will ich das verdeutlichen: Erziehungshilfe als Institution ist das Abarbeiten des gesellschaftlichen Auftrages, der im Sozialgesetzbuch VIII der BRD definiert ist: die Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Der konkrete Vollzug dieser Arbeit leisten die zuständigen Behörden der öffentlichen Jugendhilfe (z. B. Jugendämter) und die Einrichtungen (Unternehmen) der frei-gemeinnützigen oder frei-gewerblichen Jugendhilfe.
Auf organisationaler Ebene verfolgen die sozialen Einrichtungen selbst gesetzte Ziele wie Kostendeckung, Marktführerschaft, Kundenorientierung, Profilierung etc. Auf institutioneller Ebene verfolgen sie das Ziel des gesellschaftlichen Auftrages: die Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Soziale Einrichtungen agieren also in einer Ambivalenz: auf dem Markt der sozialen Dienstleistungen konkurrierende Unternehmen arbeiten zusammen an einem gesellschaftlichen Auftrag.
Auch der „Markt“ der sozialen Dienstleistungen ist anders: Profitmaximerung verbietet sich für gemeinnützige Einrichtungen qua Definition. Auch für privat-gewerbliche soziale Einrichtungen bleibt durch die Deckelung der (planwirtschaftlich gesteuerten) Entgelte wenig Spielraum.
Soziale Arbeit hat als oberstes Ziel die Partizipation der Adressaten (Teilhabe am gesellschaftlichen Leben), aber auch die eigene, fachliche, professionelle Partizipation an Sozialpolitik, die Rückmeldung an die Steuerungsorgane und die Mitgestaltung von Planungsprozessen. In der Jugendhilfe geschieht diese Partizipation beispielsweise über den kommunalen Jugendhilfeausschuss.
Zum historisch-gesellschaftlichen Kontext einer Sozialen Einrichtung: Anfang der 1990er Jahre bekommt die gesellschaftliche Entwicklung nahezu zeitgleich zwei Schübe bislang unabsehbaren Ausmaßes:
Die Soziale Arbeit muss sich also in folgender gesellschaftlichen Großwetterlage behaupten: Leere Kassen für Soziales (die Kassen für Ökonomisches sind prall gefüllt) und ordinäre, neo-liberale Ökonomie. Das bedeutet für die Soziale Arbeit: Sich einmischen. Dafür sorgen, dass es eine gute Balance zwischen Kapitalinteressen und Sozialinteressen gibt. Sozialpolitik betreiben. Wenn die Globalisierung die gesellschaftliche Sprengkraft hat, wie die industrielle Revolution sie hatte – und davon bin ich überzeugt – kommen auf uns außerordentlich große soziale Verwerfungen zu, die sozialpolitisch und sozialarbeiterisch zu bearbeiten sind.
Gleichzeitig kann und muss die Soziale Arbeit die Chancen der digitalen Medien nutzen.
Das, was mit Web 2.0 bezeichnet wird – und damit auch die Ableitungen Enterprise 2.0 und Soziale Einrichtung 2.0 – ist ein mindestens 10 Jahre altes Phänomen: das Internet wird zunehmend omnipräsent; die webbasierten Tools sind so nutzerfreundlich geworden, dass Teilnahme und Kooperation technisch einfach und preiswert realisiert werden kann.
Die Herausforderung, der sich Soziale Einrichtungen heute stellen müssen heißt Kooperation – innerhalb der Einrichtung, interdisziplinär und einrichtungsübergreifend. Kooperation und Vernetzung werden als Imperative für moderne, hochgradig arbeitsteilig angelegte Sozialsysteme bezeichnet und als unabdingbare Voraussetzungen für deren Zielerreichung und Funktionssicherung angesehen: Weder kann Bürokratie soziale Problemlagen bewältigen, noch regelt der Markt die Qualität Sozialer Arbeit – die kooperative Steuerungsform gilt als die leistungsfähigere Alternative. Das kann nicht allein durch 'social media' erreicht werden, aber auch nicht ohne. Der Einsatz von Web 2.0 Technologien muss begleitet sein von einem Wandel der Organisationskultur, der Werte und des Führungsstils. Wie soll auch multilaterale Kooperation funktionieren, wenn man an strengen, hierarchischen Strukturen und Denkweisen festhält?
Der Begriff Enterprise 2.0 bezeichnet
„… den Einsatz von Sozialer Software zur Projektkoordination, zum Wissensmanagement und zur Innen- und Außenkommunikation in Unternehmen.“ (Wikipedia zu Enterprise 2.0, rev. 19.07.2012).
Enterprise 2.0
„… ist eine Lernende Organisation, die ihre Ziele durch lernförderliche Handlungsmuster und den Einsatz von sozialen Medien (en.: social media) erreicht. Eine Lernende Organisation ist eine Organisation mit der Fähigkeit, Wissen zu entwickeln, zu erwerben und zu (ver-) teilen sowie ihr Verhalten auf Basis neuen Wissens und neuer Einsichten zu verändern.“ (Definition von Enterprise 2.0 der Gesellschaft für Wissensmanagement, rev. 19.07.2012)
Man könnte es vordergründig beim Begriff „Enterprise 2.0“ belassen. Aber für eine Soziale Einrichtung ist die Verwirklichung von Partizipation der Akteure und Adressaten ein Zweck, kein Mittel. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind Partizipations-Profis. Die Partizipation der Mitarbeitenden und Kunden eines Wirtschaftsunternehmens hingegen ist ein Mittel. Ein Mittel zur Profitmaximierung.
Partizipation eines Mitarbeiters oder Kunden setzt übrigens auch voraus, dass demokratische Bildung – die zur Herausbildung von demokratischer Mündigkeit erforderlichen Erziehungsprozesse – funktioniert hat – und dazu ist das Sozialwesen (die Einrichtungen des Bildungswesens und der Sozialen Arbeit) da. Mehr noch: das Sozialwesen schafft die Voraussetzungen für funktionierende Ökonomie und Demokratie. Deshalb noch einmal:
Eine Soziale Einrichtung 2.0 ist eine Lernende Organisation, die ihren gesellschaftlichen Auftrag Partizipation durch lernförderliche Handlungsmuster und den Einsatz von digitalen Medien erreicht. Eine Lernende Organisation ist eine Organisation mit der Fähigkeit, Wissen zu entwickeln, zu erwerben und zu (ver-) teilen sowie ihr Verhalten auf Basis neuen Wissens und neuer Einsichten zu verändern.
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